Management Letter:  Seilziehen

Seilziehen

19. Apr 2013

„Tauziehen ist die abwechslungsreichste Art,
mit anderen an einem Strang zu ziehen.“
Wolfram Weidner (*1925), dt. Journalist

Alle ziehen an einem Strang – aber mit welcher Kraft und in welche Richtung?

Erinnern Sie sich? Damals im Sportunterricht zogen zwei Gruppen an je einem Ende des Taus und mir schien, dass jede Gruppe wirklich gewinnen wollte.

„Wir ziehen alle an einem Strang“ ist wohl deshalb eine beliebte Metapher von Führungskräften, um die Leistung eines Teams besonders hervorzuheben.

Doch neben der Frage, ob das stimmt und wer denn nun in welche Richtung zieht, stellt sich noch eine andere: Geben wirklich alle ihr Bestes?

„Nein“, sagen Psychologen. Und verweisen auf ein Phänomen, das unter dem Namen „social loafing“, also „soziales Faulenzen“ die Runde macht.

Was ist soziales Faulenzen?

Der deutsche Psychologe Ringelmann beobachtete, dass die Einzelleistung sinkt, wenn mehrere Menschen gemeinsam eine Aufgabe (z.B. Tauziehen) bewältigen. Die Leistung einer Gruppe z.B. beim Tauziehen steigt nämlich nicht proportional zur Zahl der Gruppenmitglieder. Sie nimmt im Gegenteil ab. Bei zwei Personen beträgt die Gesamtleistung nur 2 x 93% der Einzelleistung, bei 8 Personen sogar nur 8 x 49%, also 392% statt 800%.

Diese geringeren Leistungen werden durch Koordinations- oder Motivationsverluste erklärt, insbesondere durch die Tendenz, einen Teil der Arbeit anderen zu überlassen, weil die Einzelleistung nicht mehr erkennbar ist. Dieses Phänomen nennt sich „Trittbrettfahren“, "soziales Faulenzen" oder eben "social loafing".

Obwohl das Phänomen gut untersucht ist, sind die Erklärungen noch unvollständig. Die Vermutung ist, dass das Gehirn immer ökonomisch arbeitet und daher in Situationen, in denen nicht klar ist, wie viel Leistung man selbst erbringt, unbewusst auf „Sparbetrieb“ umschaltet.

Das Collective Effort Modell

Dieses Modell geht davon aus, dass ein Individuum nur dann motiviert ist, wenn es die Erwartung hat, dass seine individuelle Anstrengung auch zur Erreichung eines wertgeschätzten Ergebnisses führt. Eine Person strengt sich demnach nur dann voll an, wenn sie durch diese Anstrengung auch ein für sie abschliessend wertvolles Ergebnis erreichen kann. Dies gilt sowohl für die Einzel- als auch für die Gruppensituation. 

Im Gegensatz zu Einzelsituationen ist in Teams der Wert der individuellen Leistung nicht sofort erkennbar.

Neben der Schwierigkeit, den Wert der eigenen Leistung einzuschätzen, sinkt diese sofort, wenn die Person das Gefühl hat, die eigene Anstrengung sei nicht relevant für das Gesamtergebnis. Wenn ein Mensch seinen Beitrag in der Gruppe als irrelevant für das Gesamtergebnis empfindet, sinkt seine Motivation und damit auch seine Anstrengung unmittelbar.

Empfehlung

  1. Lassen Sie Teams nur dort zum Zug kommen, wo Teamarbeit der Einzelarbeit überlegen ist. Teams sind zum Beispiel bei „Heureka-Aufgaben“, wo kreative Lösungen gefunden werden sollen, meist überlegen;
  2. Teilen Sie Team-Arbeiten wo möglich und sinnvoll in einzelne Pakete auf, in denen jede Einzelperson gefordert und ihre Leistung sichtbar ist;
  3. Lassen Sie Teams ihre Arbeit und die Beiträge der Einzelnen reflektieren (nicht kritisieren) und Verbesserungspotentiale gegenseitig erkennen.
  4. Sorgen Sie dafür, dass Menschen so eingesetzt werden, dass Sie diese bei guten Leistungen „erwischen“ können. Denn Wertschätzung bekommt, wer Mehrwert schafft. Und diese Wertschätzung ist das Öl im Getriebe sozialer Gefüge;
  5. Setzen Sie Ihren Teams anspruchsvolle Ziele und geben Sie komplexe Aufgaben zum Lösen, an denen der Einzelne scheitern würde. So entsteht in einem Team echte Power und ein Gefühl für den Vorteil eines Teams;

Ach ja: Und gönnen Sie sich und Ihrer Mannschaft auch mal eine Pause. Kein Mensch kann die ganze Zeit 100% Leistung abrufen.

Viel Freude und Erfolg wünscht Ihnen

Jürg Wilhelm

 

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